Feiern, bis die Polizei kommt

Public Affairs

“Was kostet ein Bier?” – “Nichts! Nimm so viel, wie du möchtest!” – Kein schlechter Start für eine Party. Es ist Sonntag im Anton-Saefkow-Park in Berlin-Prenzlauer Berg, und viele haben sich vom frühsommerlichen Wetter ins Grüne locken lassen: ein Paar mit Kinderwagen; ein Jogger, der die jungen Eltern mit angestrengtem Blick überholt; eine Gruppe Studenten, die auf der Wiese liegt. Das Wummern der schweren Bässe, das dumpf aus dem Unterholz dringt und der Szene einen unorthodoxen Soundtrack gibt, nehmen die Parkbesucher kaum wahr. Es scheint, als gehöre es hierher.

“Hierher”, das sind die zahlreichen Berliner Parks, die – sobald es die Temperaturen zulassen – zu Treffpunkten feierfreudiger Hauptstädter und Hauptstadtbesucher werden. Nur eine Wegbiegung von den übrigen Parkbesuchern entfernt lassen sie ein anstrengendes Clubwochenende ausklingen, tanzen, trinken und genießen die ausgelassene Atmosphäre. Einer, der diese Veranstaltungen bestens kennt, ist Lutz Leichsenring. Seit Jahren engagiert sich der 35-Jährige für die Interessen der Szene.

Wer mit Leichsenring über seine Arbeit spricht, bei dem bleiben Schlagworte wie Nachhaltigkeit, Stadtentwicklung und Industrie- und Handelskammer hängen. Das verwundert, zumindest im ersten Augenblick. Denn Leichsenring ist Pressesprecher der Berliner Club Commission, eines Vereins, der sich um die Anliegen der Berliner Club- und Musikszene kümmert. Natürlich spricht er auch über Partys und Konzerte. Aber über Lärmschutz Bescheid zu wissen, ist für seine Arbeit mindestens so entscheidend, wie die Werbetrommel für die Vielzahl und Vielfalt der Hauptstadt-Clubs zu rühren.

Kennzeichen Spontaneität

Was seine Arbeit ausmacht, wird an den sonnigen Frühlingswochenenden, an denen die Clubszene das Geschehen nach draußen verlagert, besonders deutlich: “Weil die Räume in der Stadt enger geworden und auch die Brachflächen nicht mehr so für spontane Feten und Konzerte vorhanden sind, sprießen auf öffentlichen Plätzen kleine Pop-up-Veranstaltungen”, erzählt Leichsenring. Einzelne DJs verbündeten sich zu Kollektiven, die dann in einem Park eine Anlage aufbauten und so wie im Anton-Saefkow-Park für 200, 300, 400 Leute kostenlos Musik machten.
So weit, so gut – bis die Polizei kommt. Denn die Konzerte, von denen man ausschließlich über soziale Netzwerke erfährt, finden ohne Genehmigung statt. “Das Spontane”, sagt Leichsenring, “ist eigentlich das Besondere, das Tolle.” Aber das sonnige Erlebnis unter blauem Himmel kann auch Schattenseiten haben: Müll, Lärm und Anwohner, die sich belästigt fühlen und die Polizei rufen. Und die greife hart durch, um die Veranstaltungen, “die total friedlich sind”, aufzulösen. Dem vorzubeugen, hat sich die Club Commission zur Aufgabe gemacht.

Ein wenig ähnelt die aktuelle Situation der Gründungszeit der Club Commission. Damals waren Parlament und Regierung gerade nach Berlin gezogen und die Stadt hatte nicht nur “ihre provinzielle Seite, sondern auch etwas von ihrer Leichtigkeit verloren”, so Leichsenring. In vielen Berliner Clubs waren Drogenrazzien an der Tagesordnung. “Der Senat hat unverhältnismäßig reagiert”, findet Leichsenring. Drogen seien auch damals kein clubspezifisches, sondern ein gesellschaftliches Problem gewesen. “Und man würde bestimmt auch nicht das Hotel Adlon stürmen, wenn man vermutet, dass da ein Drogendealer sein Koks vertickt.”

Er weiß, welcher Club in der Hauptstadt gerade angesagt ist  – und kennt sich bestens mit Lärmschutz aus:  Als Pressesprecher der Club Commission ist Lutz Leichsenring mit Licht- und Schattenseiten seiner Klientel vertraut. (Foto: Laurin Schmid)

Für die Clubbetreiber stand jedenfalls im Jahr 2000 fest, dass es so nicht weitergehen konnte. Sie trafen sich mit Abgeordneten und schilderten ihr Problem. Und die erklärten den Clubbetreibern: “Ihr müsst eure Interessen bündeln und eure Anliegen organisiert vertreten.” Die Aufforderung zum Lobbying seitens der Politik stellte die Clubbetreiber vor Fragen: Wie sollen die unterschiedlichen Interessen der Szene unter einen Hut gebracht werden? Wie bekommen wir die richtige Mischung hin aus jungen Leuten und alten Hasen, aus Live-Clubs, Rock, Elektro? “Da eine Stimme zu kreieren, das war eben die Herausforderung”, sagt Leichsenring, der seit dem Jahr 2009 ehrenamtlich dabei ist und vorher einen Club in Karlsruhe hatte.

Die Club Commission, die in ihrer später entstandenen Beratungsagentur Club Consult zwei fest angestellte Mitarbeiter hat und ansonsten auf das ehrenamtliche Engagement ihrer Mitglieder angewiesen ist, hat diese Herausforderung gemeistert. Das bescheinigt ihr jedenfalls Katrin Schmidberger, Sprecherin für Clubkultur von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus: “In gewisser Weise leistet die Club Commission Übersetzungsarbeit und sorgt so für Verständnis für ihre – im Vergleich zur so genannten Hochkultur – doch anderen Bedürfnisse”, so Schmidberger.

Zudem habe die Club Commission ein feines Gespür dafür entwickelt, frühzeitig Probleme und Forderungen zu identifizieren und auf die politische Agenda zu setzen. Und allein die Tatsache, dass in den Fraktionen Abgeordnete für das Thema zuständig sind, unterstreicht die Bedeutung der Clubszene für die Hauptstadt. Christian Goiny von der CDU-Fraktion ist überzeugt, dass auch dank der Club Commission in der Politik langsam die Erkenntnis reife, dass die Club- und Musikszene eine “großstadtspezifische Form des Mittelstandes” sei und ein “Nährboden für andere Bereiche der Kreativwirtschaft”.

Anwohner versus Clubbetreiber

Darauf immer wieder zu verweisen, sieht auch Leichsenring als eine seiner Hauptaufgaben: “Die Fashionszene in der Hauptstadt wäre nicht das, was sie ist, ohne die besonderen Locations, wo die besonderen Leute in besonderen Klamotten besondere Musik hören, die wiederum die Künstler inspirieren, die die Mode machen”, ist er überzeugt. Eine andere Aufgabe sei deshalb dafür zu sorgen, dass das so bleiben könne.

“Clubsterben in Berlin” – so lauteten viele Schlagzeilen in den vergangenen Jahren. Viele mussten tatsächlich schließen, weil Anwohner sich gestört fühlten – “obwohl sie ein paar Jahre zuvor extra in den Szenekiez gezogen waren und das so lange genossen haben, bis sie Kinder bekommen haben und Ruhe wollten”, sagt Leichsenring. Menschlich sei das nachvollziehbar. “Aber dann muss man gesetzlich sicherstellen, dass nicht der Club, der da schon ewig ist, für Lärmschutz sorgen muss”, ergänzt er und kann zugleich von einem Erfolg berichten. Mitglieder der Club Commission hätten vor dem Stadtentwicklungsausschuss ihre Sicht zum Thema Verdrängung von Clubs schildern dürfen. Daraufhin hätten SPD und CDU eine Gesetzesinitiative gestartet, an deren Ende eine Umkehr der Beweislast stehen soll. Das heißt: Wenn heute neben einem Club ein neues Haus gebaut wird, muss später nicht der Club für Lärmschutz sorgen, sondern sich der Bauherr kümmern.

Die Vernetzung in die Politik und andere entscheidende Gremien der Stadt funktioniert – wie auch die Zusammenarbeit mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) zeigt. “Wir arbeiten im Stadtentwicklungs-, im Tourismus- und im Kreativwirtschaftsausschuss der IHK mit”, sagt Leichsenring, der auch als gewähltes Mitglied in der IHK-Vollversammlung sitzt. Und die Zusammenarbeit mit der IHK geht noch weiter – zum Beispiel in Sachen Open Airs. “Wir haben überlegt, was wir tun können, damit alle zufrieden sind”, sagt Leichsenring und präsentiert in der Geschäftsstelle der Club Commission über dem KitKatClub am U-Bahnhof Heinrich-Heine-Straße die “Freiwillige Selbstverpflichtung der Berliner Open Air Veranstalter”. Darin bekennen sie sich dazu, die Natur zu respektieren und Rücksicht auf andere zu nehmen.

Austausch vor der nächsten Freiluft-Saison: Lutz Leichsenring moderiert im November 2013 ein Treffen von Open-Air-Veranstaltern.

Austausch vor der nächsten Freiluft-Saison: Lutz Leichsenring moderiert im November 2013 ein Treffen von Open-Air-Veranstaltern. (Foto: Club Commission)

Aus der Selbstverpflichtung soll eine Selbstprofessionalisierung entstehen. Und die hat die Club Commission beziehungsweise ihre Beratungsagentur Club Consult unter anderem mit einem Workshop angestoßen, den sie gemeinsam mit der IHK im April und Mai veranstaltet hat. Sowohl von Seiten der Clubs als auch der Bezirksverwaltungen erfreute er sich großen Zulaufs. “Es ging uns dabei um Know-how-Transfer”, sagt Leichsenring, “der helfen kann, Probleme zu vermeiden.”

Das fängt mit naheliegenden Dingen an: Müllsäcke aufhängen, Stromaggregate in eine Wanne stellen, um heraustropfendes Öl aufzufangen, oder mit einer App Mess-Protokolle erstellen, die dann gegenüber der Polizei als Nachweis dienen können, dass die Musik und ihre Zuhörer nicht zu laut waren. Best-Practice-Beispiele werden aber auch aus anderen Bereichen übernommen, wie das Berliner Clubfenster zeigt – eine Adaption des Hamburger Hafencity-Fensters. “Was in Hamburg der Hafen, ist in Berlin die Clubszene”, sagt Leichsenring. Beides mache die Stadt attraktiv. Und beides sei laut. Für die Wohnungen in der Hamburger Hafencity hätten deshalb die zuständigen Behörden Fenster entwickeln lassen, die es möglich machten, zu lüften, ohne dass Lärm eindringe. “Wir wollen Bauherren und Architekten deutlich machen: Es gibt Lösungen”, sagt Leichsenring.

Mehr Prävention

Und im Unterschied zur Vergangenheit arbeite die Club Commission heute präventiv und nicht mehr nur reaktiv – wie bei der East Side Gallery. Die von der Club Commission mitorganisierten Proteste gegen den Neubau von Wohnungen in unmittelbarer Nähe der Open-Air-Galerie zwischen dem Berliner Ostbahnhof und der Oberbaumbrücke kamen letztlich zu spät. Bei dem Gedanken daran, was an diesem historischen Ort geschieht, schlägt Leichsenring die Hände vors Gesicht.

Zufrieden stimmt ihn dagegen der neue Berliner Kulturstaatssekretär, den er aus der Zusammenarbeit mit der IHK kennt. Dass Tim Renner, der als Musikproduzent und -manager gearbeitet hat, in dieses Amt berufen wurde, verbucht Leichsenring auch als Erfolg der Club Commission. “Über die Personalie haben wir uns schon sehr gefreut”, sagt Leichsenring und lacht. Zumal Renner wisse, wie kleinteilig und unterfinanziert die Szene sei und dass die Club Commission “keine Lobbygruppe wie jede andere ist”.

Die Club Commission versteht sich als Mahnerin, Vermittlerin, die “Werkzeuge an die Hand gibt, die Szene aber nicht reguliert”, stellt Leichsenring fest. Es gehe darum, generelle Verbote, etwa der Open Airs, zu verhindern. “Es ist nicht illegal, sich mit Freunden im Park zu treffen und Musik zu hören. Aber wo ist die Grenze?” Das müsse man herausfinden. Denn: “Je weniger Kläger es gibt und damit Ärger, desto mehr wird man uns auch dulden.”
Mitarbeit: Michael Sömmer

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Bonn – wo liegt das?. Das Heft können Sie hier bestellen.