Eiskönigin oder Mutter der Nation?

Mimik-Check

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat eine bewegte Woche hinter sich. Sie traf Youtube-Star LeFloid zu einem Interview, absolvierte eine 17-stündige Marathonsitzung auf dem EU-Gipfeltreffen zum neuen Hilfspaket für Griechenland und erlangte mit dem Hashtag “Merkelstreichelt” ungewollt einen Höhepunkt der Aufmerksamkeit in den sozialen Medien. Von vielen Seiten wurde ihr mangelnde Empathie vorgeworfen, das Magazin “Stern” gab ihr sogar den Titel “Die Eiskönigin”. Doch ist Angela Merkel wirklich so kühl, wie ihr unterstellt wird? Ihre Mimik spricht eine deutliche Sprache – vorausgesetzt man sieht genauer hin.

Ein Ausdruck von Empathie

“Du hast das doch prima gemacht”, sagt Merkel beim Bürgerdialog in Rostock zu dem weinenden Flüchtlingsmädchen und geht auf es zu, um es zu streicheln. Eine Geste, die am nächsten Tag hitzige Diskussionen hervorrufen sollte. Da hieß es, der Kanzlerin würde es an Empathie mangeln, dabei offenbart ihre Mimik das Gegenteil: Noch bevor sie auf das Mädchen zugeht, zieht Merkel subtil die Augenbrauen-Innenseiten hoch, lächelt leicht und neigt den Kopf zur Seite. Das ist der prototypische Ausdruck von Mitgefühl. Diese nonverbalen Signale offenbaren, dass sie mitfühlt.

Die anschließende Diskussion im Netz zeigt allerdings sehr deutlich, dass die meisten Menschen den Worten mehr Beachtung schenken als der Mimik. Dabei werden wir eigentlich als Gesichterleser geboren. Im Laufe des Erwachsenwerdens rostet aber unsere Fähigkeit, die stillen Zeichen von Mimik und Gestik sauber zu deuten, mehr und mehr ein. Dadurch übersehen wir feine Signale, wie in diesem Fall bei Merkel, und etikettieren jemanden als eiskalt, obwohl die Körpersprache etwas anderes verrät.

Stress senkt das Einfühlungsvermögen

Das Faszinierende an der Szene ist, dass die Kanzlerin nonverbal schon vorher Signale von Empathie gesendet hat. Zu einem Zeitpunkt als das Flüchtlingsmädchen seine Traurigkeit noch hinter einem Lächeln versteckt, lediglich verraten durch ein kurzes Hochziehen der Augenbrauen-Innenseiten, spiegelt Merkel diese Gefühle in ihrer eigenen Mimik. Diese Fähigkeit nennt sich Mimikresonanz: ein unbewusster Vorgang, der uns allen angeboren ist und dafür sorgt, dass wir unwillentlich die Mimik anderer Menschen spiegeln. Auf diese Weise spüren wir in reduzierter Form, wie sich unser Gesprächspartner fühlt. Das ist der neurobiologische Klebstoff, der menschliche Beziehungen überhaupt erst möglich macht und zusammenhält. Diese Fähigkeit der Mimikresonanz lässt sich hier nicht nur bei Merkel beobachten, sondern auch bei dem Co-Moderator links hinter ihr. Bei ihm ist die Resonanz besonders gut an den Querfalten erkennbar, die sich im Zentrum der Stirn bilden. Bei Merkel selbst ist die Bewegung durch den Pony und die hellen Augenbrauen schwerer zu erkennen.

Dabei ist es aus fachlicher Sicht erstaunlich, dass die Bundeskanzlerin in dieser Situation überhaupt noch empathisch sein kann. Studien haben gezeigt: Dauerhafter Stress senkt das Einfühlungsvermögen. Und Stress hat Merkel wahrlich genug, zum Beispiel mit der Griechenland-Krise. Nicht nur, dass sie zum Zeitpunkt des Bürgerdialogs in Rostock eine 17-stündige Marathonsitzung hinter sich hatte, es “knallte” auch noch in der eigenen Partei, nachdem Finanzminister Schäuble vorgeschlagen hatte, Griechenland zeitweise aus der EU auszuschließen. Dass dieser Konflikt sie weiterhin beschäftigt, zeigt sich im Sommerinterview der ARD. Als Merkel auf die Situation angesprochen wird, lächelt sie zwar, wird aber sichtlich rot. Das ist ein Hinweis darauf, dass sie die Situation nicht kalt lässt und ihre Gefühle noch in Wallung sind.

Auch wenn Merkel also in den Medien oft als kühl und rational beschrieben wird, offenbaren diese Szenen, dass sie sich trotz des Regierungsstresses ihre mitfühlende Seite bewahrt hat.