Eine Rede, die von sich reden macht

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat beim IT-Gipfel in Hamburg eine Rede gehalten, die öffentlich völlig unbemerkt geblieben wäre, wenn sie nach dem vorgesehenen Plan gelaufen wäre. Doch ist es nicht. Die Bundeskanzlerin hat ein einziges Wort vergessen und lange nach ihm gesucht bis es ihr wieder eingefallen ist: “Festnetz”.

Dieses kurz in das dunkle Loch der Vergessenheit verschwundene Wort erinnert nun die Öffentlichkeit, insbesondere die Netzgemeinde, umso stärker an diese Rede. Häme und Spott haben sich über die Kanzlerin ergossen; die Netzgemeinde belustigt sich über ihre Fachkenntnisse; die Kommentatoren wollen in diesem Aussetzer die Gleichgültigkeit der Politik gegenüber IT-Themen erblicken.

Übertreibungen beiseite: Gewiss sind Aussetzer selten schmeichelhaft. Doch versucht man dieser kleinen Geschichte eine rhetorische Lehre abzuringen, dann springen vier Punkte hervor.    

Suchpausen schaffen Aufmerksamkeit

Erstens binden Suchpausen Aufmerksamkeit. Redner könnten folglich diesen Griff bewusst einsetzen, um die Spannung beim Publikum zu erhöhen und dadurch einen Satz, einen Gedanken, eine Botschaft der Erinnerung der Zuhörer sicher anzuvertrauen.

Zweitens können Redner das Publikum in die Suche einbinden: “Was war das dritte, Herr Höttges?”, fragt die Kanzlerin Timotheus Höttges, den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Telekom, der im Publikum sitzt. Der Austausch zwischen Redner und Publikum steigert nochmals die Aufmerksamkeit, und mit dem Nachsatz “Das war was ganz Einfaches!” hat die Rednerin die Neugier der Zuhörer auf die Folter gespannt.

Drittens – und hier hätte sich die Rednerin anders verhalten sollen – bieten solche Suchpausen eine einzigartige Gelegenheit, den eigenen Gedanken auf den Punkt gebracht zusammenzufassen. Nachdem der Kanzlerin das Wort “Festnetz” eingefallen war, hat sie den “Vorfall” beendet. Stattdessen hätte sie die “drei F des Netzausbaus”, welche eine kernige Botschaft ihrer Rede waren, d. h. “Frequenzen”, “Förderung” und “Festnetz”, noch einmal wiederholen sollen. So hätten die Zuhörer im Saal und vor dem Internet diesen zentralen Gedanken als ganzen und zusammenhängend aufnehmen können.

Virtuelle versus reale Wirkung

Der Aussetzer war echt, die Reaktion der Kanzlerin authentisch, irgendwie auch sympathisch – vor allem für das Publikum im Saal, weniger aber für jene, die nur diese Szene aus der Rede über You-Tube sehen und hören konnten.

Die vierte und letzte Lehre besagt folglich, dass die Wirkung einer Rede nicht zwangsläufig einheitlich sein muss: Die virtuelle ist immer anders als die reale. Zu den Aufgaben guter Rednerinnen und Redner beziehungsweise Redenberater gehört es heute, die Kluft zwischen den Wirkungen in virtuellen und realen Räumen so gering wie möglich zu halten – eine spannende Aufgabe.