Die Eigenwillige: Nina Scheer

Vier aus 230

Politisch interessiert war sie schon als Schülerin. Und lange bevor sie im vergangenen Jahr in den Deutschen Bundestag eingezogen ist, hat sie sich auch politisch engagiert. Mit 15 Jahren ist Nina Scheer in die SPD eingetreten, die Partei, der auch ihr Vater angehörte. Hermann Scheer war bis zu seinem Tod 2010 die Instanz der Sozialdemokraten beim Thema Energiewende. Heute ist die Energiewende ihr zentrales Thema. Dabei hat sie nach dem Abitur erst einmal einen ganz anderen Weg eingeschlagen und in Essen Violine studiert.

Im Jahr 2009 sei sie vor der Bundestagswahl von der SPD gefragt worden, ob sie nicht die Initiative gegen Atomenergie unterstützen wolle, erzählt die 42-Jährige. Sie wurde zu Vorträgen eingeladen, auf Podien, um über das Thema Energie zu diskutieren, mit dem sie sich nicht erst seit 2007 als Bundesgeschäftsführerin des Unternehmerverbandes “Unternehmensgrün” beschäftigt hatte. Das Gleiche geschah vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein 2012. “Und dann entwickelte sich das”, sagt Nina Scheer.

Gleich mit einer wichtigen Aufgabe betraut

Es entwickelte sich schließlich so, dass die ausgebildete Violinistin, Juristin und promovierte Politologin im vergangenen Herbst in dem an Hamburg angrenzenden Wahlkreis Herzogtum Lauenburg – Stormarn-Süd für die SPD antrat und über die Landesliste Schleswig-Holstein für ihre Partei in den Bundestag gewählt wurde. Dort betraute man sie gleich mit einer wichtigen Aufgabe. Als einziges Mitglied der Bundestagsfraktion hat sie die SPD in den Koalitionsverhandlungen zum Thema Energie vertreten.

Gerechnet habe sie damit nicht, aber sie ist selbstbewusst genug, um zu ergänzen: “Aber ich hatte auch nicht das Gefühl, dass es abwegig ist. Ich wusste, dass ich durchaus was einbringen kann.” Schließlich waren ihr die Haltungen und Aussagen ihrer Partei und der vorherigen Bundestagsfraktion zum Klimaschutz und zur Energiewende nicht neu.

Teil der Verhandlungen war auch die Zukunft des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Und wie im Koalitionsvertrag angekündigt, wurde die Reform des EEG auch vor der Sommerpause verabschiedet. Allerdings nicht so, wie es der Koalitionsvertrag vorgesehen habe, kritisiert Scheer, die dem Gesetzentwurf deshalb nicht zugestimmt, sondern sich enthalten hat.

Die Gründe dafür hat sie in einer Erklärung nach Paragraph 31 der Geschäftsordnung des Bundestages erläutert. Denn ihr war es wichtig, deutlich zu machen, dass sich der parlamentarische Prozess nicht in einem “Ja”, “Nein” oder einer “Enthaltung” erschöpft, sondern dass sie ihre Kritik, die sie auch in der Fraktion vorgetragen hat, begründen kann und will.

Im direkten Gespräch die Positionen austauschen und nicht über Twitter oder Facebook querschießen gegen ihren Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, der als Minister für Wirtschaft und Energie federführend war bei der Novelle des EEG ­– das ist ihre Art der politischen Auseinandersetzung.

Und dass Nina Scheer zu überzeugen weiß, bestätigte Gabriel, als er danach gefragt wurde, warum er bei der diesjährigen Sommertour durch ihren Wahlkreis mit von der Partie war: “Es gibt wenige Abgeordnete, denen man sich so wenig entziehen kann wie Frau Scheer.”

Überlegt Nina Scheer manchmal, wie ihr 2010 verstorbener Vater entschieden hätte, Hermann Scheer, der als einer der Väter des Erneuerbare-Energien-Gesetzes aus dem Jahr 2000 gilt und der für sein Engagement für die Energiewende den Alternativen Nobelpreis erhalten hat? “Wenn die Frage in mir aufsteigt, stoppe ich das meistens”, sagt die alleinerziehende Mutter einer Tochter. “Zu spekulieren: Er hätte wahrscheinlich … – das wird ihm nicht gerecht. Das habe ich auch kein einziges Mal über die Lippen gebracht.” Sie will weiterhin dafür sorgen, dass die erneuerbaren Energien nicht deskreditiert werden und dass das EEG nicht demontiert wird.

Ihr Ziel: ein Parlaments­orchester gründen

Und für ihre erste Legislaturperiode hat Nina Scheer auch noch ein ganz anderes Ziel: Gleich nach ihrem Einzug in den Bundestag hatte sie die Idee, ein Parlamentsorchester zu gründen. Bislang war noch keine Zeit, sich darum zu kümmern, und noch hat Nina Scheer nicht in Erfahrung gebracht, wie viele Instrumentalisten in den Fraktionen sitzen. Aber selbst wenn es nicht für ein ganzes Orchester reicht – ein kammermusikalisches Ensemble, da ist sie sich sicher, wird sich finden.

Lesen Sie auch die Teile eins, zwei und drei unserer Porträtreihe über Nina Warken (CDU), Irene Mihalic (Bündnis 90/Die Grünen) und Susanna Karawanskij (Die Linke).

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Frauen und Macht. Das Heft können Sie hier bestellen.