Der Richtungsstreit hält an

Britische Labour Party

Vollkommen überraschend wurde Jeremy Corbyn im September vergangenen Jahres zum Vorsitzenden der britischen Labour Party gewählt. In einer Urwahl hatten sich die Parteimitglieder ausgerechnet für den Alt-Linken entschieden, der während der Regierungsjahre von Tony Blair und Gordon Brown als der rebellischste Abgeordnete der Arbeiterpartei galt und als großer Außenseiter in die Abstimmung ging.

Die Parteibasis und die stimmberechtigten Mitglieder der Gewerkschaften konnte der kauzige Hinterbänkler für sich gewinnen. In der Fraktion, wo die politische Arbeit geleistet wird, blieb er jedoch ein Fremdkörper. Hier stößt sein Linksschwenk auf die größte Skepsis.

Von vielen Beobachtern wurde es ihm bereits als Erfolg angerechnet, im September ein halbwegs ausgeglichenes Schattenkabinett zustande gebracht zu haben. Keine leichte Aufgabe, nachdem mit Rachel Reeves, Chukka Umunna und Tristram Hunt mehrere prominente moderate Abgeordnete innerhalb von Stunden nach seiner Wahl ihre Ämter im Schattenkabinett räumten und andere ihm einen Korb erteilten.

Holpriger Start nach Überraschungssieg

So verlief der Start für den neuen Oppositionsführer holprig. Bei den Wahlen der Arbeitsgruppenleiter setzten sich überwiegend moderate Abgeordnete durch. Zudem verweigerten Teile der Fraktion die Gefolgschaft bei wichtigen Abstimmungen. So stellten sich gleich 66 der 232 Fraktionsmitglieder gegen ihren Vorsitzenden und stimmten mit der konservativen Regierung für Luftangriffe in Syrien. Hierunter befanden sich auch elf der 28 Mitglieder des Schattenkabinetts. Sie hatten gedroht ihre Ämter niederzulegen, hätte Corbyn auf Fraktionsdisziplin bestanden. Nach dieser Schmach forderten insbesondere Mitglieder des innersten Zirkels von Corbyn, er solle durch eine umfassende Kabinettsumbildung seine Autorität unter Beweis stellen und mehr Durchgriff auf die Fraktion erlangen.

Ausschluss aus dem Schattenkabinett

Die Umbildung des Schattenkabinetts war seit Wochen eines der bestimmenden Themen in der britischen Politik. Eine groß angelegte Ausschlussaktion war befürchtet worden, mit der Corbyn seine Mannschaft auf Spur bringen wollte. Letztlich entließ er mit Pat McFadden (Europa) und Michael Dugher (Kultur) nur zwei Vertreter des gemäßigten Flügels, zudem versetzte er Maria Eagle (Verteidigung) in das Kulturressort. Alle drei hatten ihm bei der Abstimmung über Luftangriffe in Syrien die Gefolgschaft versagt. Eagle hatte zudem öffentlich Sympathie für die Beibehaltung des Nuklearwaffenprogramms bekundet; ein No-Go für den bekennenden Pazifisten, der zu Protokoll gab, Atomwaffen auch im Verteidigungsfall nicht verwenden zu wollen. 

Die Gegenreaktion ließ nicht lange auf sich warten. Mit Jonathan Reynolds, Stephen Doughty und Kevan Jones legten drei moderate Mitglieder des Schattenkabinetts umgehend ihre Ämter nieder. Weitere sechs äußerten öffentlich ihren Unmut über die Abberufungen.   

Ins Visier der Kritik gerät verstärkt auch die Graswurzelbewegung “Momentum”. Die von Jon Lansman, einem der Organisatoren der Corbyn-Kampagne, gegründete Gruppe versammelt mehr als 60.000 Mitglieder, die den Linksruck in Partei und Fraktion festigen wollen. So streben sie beispielsweise in den Wahlkreisen konservativer Labour-Abgeordneter gezielt deren Abwahl bei den nächsten Aufstellungsverfahren an, um so dafür zu sorgen, dass bei der nächsten Unterhauswahl deutlich mehr linke Abgeordnete in der Fraktion vertreten sein werden. Dabei spielt ihnen die erwartete Reform der Wahlkreise in die Hände, bei der Ende des Jahres die Wahlkreise neu zugeschnitten werden und rund 50 von 650 Stimmbezirken wegfallen sollen. 

Die Konservativen in der Partei sind alarmiert. So warnt der Abgeordnete Wayne David vor Momentum als einer “Partei in der Partei” und Peter Mandelson verwies darauf, dass in den vergangenen vier Monaten rund 30.000 langjährige Mitglieder die Partei aus Frust über den Linksruck verlassen hätten.

Labour wandelt auf den Spuren der achtziger Jahre

Der aktuelle Richtungsstreit erinnert an die ideologischen Kämpfe der späten siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Nach einem starken Linksrutsch durch die Parteispitze um Michael Foot und Tony Benn, spalteten sich die moderaten Kräfte um Roy Jenkins ab und gründeten 1981 die Social Democratic Party. Als Konsequenz erzielte die Labour Party bei den Parlamentswahlen 1983 eines der schlechtesten Wahlergebnisse ihrer Geschichte. Es dauerte bis 1997, ehe sie mit Tony Blair wieder den Premierminister stellte. Die Arbeiterpartei wandelt unter Jeremy Corbyn auf den Spuren der achtziger Jahre.