Wie wird ein Lobbyist zum Redakteur?

Public Affairs

Herr Neuner, was hat den Anstoß gegeben, das “Digitale Hauptstadtbüro” zu gründen?

Zwei Aspekte sind wichtig: Zum einen arbeiten wir alle heute digitaler als noch vor einigen Jahren. Auf Twitter werden aktuelle politische Themen diskutiert, Mitarbeiter im Bundestag nutzen digitale Quellen, um Informationen zu beziehen. Das hat natürlich Auswirkungen darauf, wie wir Lobbying betreiben müssen, und bedeutet für uns: Wir müssen digital sichtbar sein. Zum anderen setzen wir uns für “Responsible Lobbying” ein. Das heißt auch, dass wir für mehr Transparenz unserer Arbeit sorgen wollen, und das digitale Hauptstadtbüro hilft dabei.

Unternehmenspositionen nach außen zu kommunizieren – das ist doch eigentlich die klassische Aufgabe der Kommunikationsabteilung. Dringen Sie mit der Plattform in deren Hoheitsgebiet vor?

Politische Kommunikation geht immer nach außen und nach innen. Deshalb stimmen wir uns fast täglich mit der Unternehmenskommunikation ab. Wir haben in unserer Lobbyarbeit aber den Vorteil, eine sehr eng gefasste Zielgruppe zu haben. Unsere Seite richtet sich an den Berliner Politikbetrieb und das machen wir durch die oft sehr kleinteiligen regulatorischen Themen, das eigene Logo der Seite oder die Art und Weise der Formulierungen sehr deutlich. Wir machen kein Magazin. Von daher lassen sich unsere Kommunikation an das politische Berlin und die Öffentlichkeitsarbeit des gesamten Unternehmens gut trennen. Es darf natürlich nicht passieren, dass von den beiden Abteilungen gegensätzliche Informationen oder Einschätzungen kommuniziert werden. Wir müssen also eng zusammenarbeiten – und tun dies auch.

Bei der Planung der Zielgruppe haben Sie verschiedene Personas entworfen, also fiktive Personen, die deren typische Vertreter repräsentieren. Von welchen Lesern sind Sie ausgegangen?

Wir haben uns insgesamt vier Gruppen angeschaut, sowohl im Hinblick auf ihr inhaltliches Interesse als auch auf ihre technischen Kompetenzen: Vertreter der Ministerialverwaltung, Bundestagsmitarbeiter, Mitarbeiter von NGOs und von Verbänden. Wir haben überlegt, wie digital und mit welchen Geräten sie arbeiten, welche Informationen sie für ihre Arbeit benötigen und welche Veranstaltungen sie interessieren.

Und wie war beispielsweise der klassische Bundestagsmitarbeiter charakterisiert?

Fleißig, gut informiert und natürlich immer online. (lacht)

Für Ihren Arbeitsalltag war die Gründung der Webseite sicher eine große Umstellung. Die Artikel und Interviews stammen, mit Ausnahme einiger Gastbeiträge, aus der Feder des Public-Policy-Teams. Wie wird ein Lobbyist zum Redakteur?

Kern unserer Aufgabe war immer, komplizierte Unternehmensinhalte oder politische Zusammenhänge klar und griffig aufzubereiten. Natürlich müssen wir im Detail stecken, aber der berühmte Elevator-Pitch – das Wesentliche in 30 Sekunden erklären zu können – gehört definitiv dazu. Die Ideen gehen also gar nicht so weit auseinander. Trotz allem: Wir sind Juristen, Politikwissenschaftler und Betriebswirte, und bestimmt manchmal in unserer eigenen Sprache gefangen. Für uns ist es also schon noch eine Aufgabe zu lernen, wie man schreibt, damit es sich gut liest.

Wie viel Zeit nimmt die Betreuung der Webseite in Ihrem Tagesablauf ein?

Das ist schwierig zu sagen. Die meisten der Themen behandeln wir nicht ausschließlich für die Webseite, sondern bearbeiten sie ohnehin in anderem Zusammenhang – etwa als Vorbereitung für ein Gespräch mit einem Bundestagsabgeordneten oder in Form eines Positionspapiers. Neu hinzu kommt nun die Überlegung, wie man den Inhalt besser aufbereiten und über Videos, Infografiken oder Tweets lebendiger gestalten kann. Wir veröffentlichen zurzeit durchschnittlich einen oder zwei Artikel pro Woche. Im Berliner Büro arbeiten wir zu viert an der Seite. Ihre Konzeption war für uns ein großes Projekt und wir waren schon froh, als es dann endlich losging. Jetzt ist die Betreuung Teil unseres Alltags; auch wenn wir natürlich weiterhin an der Webseite feilen.  

Was für ein Feedback haben Sie von der Konkurrenz und Ihren Zielgruppen erhalten?

In erster Linie gab es Anerkennung dafür, dass wir versuchen, mehr Transparenz in den Prozess zu bekommen. Auch rufen immer öfter Vertreter anderer Unternehmen bei uns an, die nun selbst etwas Ähnliches planen und nach unseren Erfahrungen fragen. Bisher hat niemand den Sinn der Seite infrage gestellt oder sie als Greenwashing-Instrument kritisiert. Noch ist die Seite aber neu, noch muss sie bekannter werden: Wenn wir Politiker für Interviews oder Gastbeiträge anfragen, klappt das meist ganz gut, einige sind noch zurückhaltend.

Wann würden Sie das “Digitale Hauptstadtbüro” als erfolgreich bezeichnen? Kommt es Ihnen dabei auf die Klickzahlen an?

Erfolgreich ist die Seite, wenn wir merken, dass wir damit im politischen Berlin angekommen sind und sie von den verschiedenen Zielgruppen als ein inhaltlicher Mehrwert betrachtet wird. Ich würde mich freuen, wenn demnächst sogar einmal eine lobbykritische Institution diese Art und Weise der Interessenvertretung für hilfreich hielte. Die Zahl der Seitenzugriffe als solche spielt für uns eine untergeordnete Rolle, da wir uns an eine sehr kleine und klar definierte Zielgruppe richten.

Erhoffen Sie sich, dass die Webseite von MdB-Mitarbeitern als Bookmark markiert und regelmäßig abgerufen wird, oder sehen Sie sie eher als Informationsangebot für punktuelle Recherchen?

Wir sind nur ein Unternehmen einer Branche mit einem bestimmten Themenset, und das “Digitale Hauptstadtbüro” ist kein buntes Magazin: Über jeden Bookmark freuen wir uns, aber im Fokus steht, dass unsere Zielgruppe uns auf der Suche nach bestimmten Themen findet. Aber klar wünschen wir uns dort einen Dialog, dass also die Möglichkeit genutzt wird, direkt bei uns nachzuhaken. Dass alle Thesen der Gäste unserer “Mittwochsgesellschaft” schon vor der Veranstaltung online zu diskutieren sind, wird uns sicher helfen. Ich bin gespannt, wie sich die Kommunikation von Politik und Interessenvertretungen generell entwickeln wird. Vielleicht erleben wir bald mehr offene, inhaltliche Diskussionen von Unternehmen, Verbänden, Abgeordneten und Ministeriumsmitarbeiten auf solchen Seiten.

Wäre das für Sie eine Zielvorstellung?

Grundsätzlich ja. Aber nur solange es wirklich um die Sache geht und nicht darum, in Schaukämpfen eine möglichst polarisierende Haltung zu zeigen.