"Blind-Date mit der Realität"

Politik

Frau Vogler, warum haben Sie an dem Projekt “Politiker-WG” teilgenommen?

Als ich die Anfrage vom Westdeutschen Rundfunk bekam, musste ich erst einmal darüber nachdenken, da es ein neues Format ist und ich auch nicht wusste, was auf mich zukommen würde. Wir haben dann mit der Redaktion vom WDR Kontakt aufgenommen und fanden das Projekt sehr spannend. Außerdem wollte der WDR gerne noch jemanden von der Linken dabei haben. Ich habe dann zugesagt und alle meine Termine in dieser Woche verlegt.

Wie hat Ihre Partei auf die Anfrage reagiert?

Bisher habe ich nur positives Feedback bekommen. Im Vorfeld habe ich mit einigen Kollegen im Bundestag gesprochen, die auch angefragt worden waren. Diese haben mich ermutigt, an dem Projekt teilzunehmen. Währenddessen habe ich hin und wieder Themen aus der “Politiker-WG” auf Facebook gepostet und auch dort durchweg positive Reaktionen erhalten.

Welche Rolle hat Duisburg-Marxloh für Sie gespielt, zumal Ihr Wahlkreis ein anderer ist?

Wir wussten vorher alle nicht, wo das Projekt stattfinden würde. Es war sozusagen ein Blind-Date mit der Realität. Das Großstadtquartier war für mich ein zusätzlicher Anreiz, da ich aus einer ländlichen Region komme, die ebenfalls von dem Thema Armut und Integrationsfragen betroffen ist. Der Ort war gut gewählt, weil es dort für mich Anknüpfungspunkte gab. Die Situation in Marxloh ist jedoch tatsächlich eine ganz andere als bei mir im Wahlkreis Steinfurt III.

Welche Besonderheiten haben sich für Sie als einzige Bundestagsabgeordnete unter den Teilnehmern ergeben?

Ich habe festgestellt, dass ich meine Erlebnisse in Marxloh auch für meine Arbeit im Bundestag gut nutzen kann. Viele der Probleme haben ihre Wurzeln nämlich nicht direkt vor Ort in Duisburg-Marxloh, sondern in bundespolitischen und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen. Stichwort: das Problem der Nichtversicherten. Als Mitglied des Gesundheitsausschusses bin ich eng an diesem Thema dran und habe es nach meiner Teilnahme an der “Politiker-WG“ auf die Tagesordnung des Ausschusses gesetzt. Ich werde auch dranbleiben, weil die Kommunen dieses Problem nicht allein lösen können. Und wenn ich stellvertretend für die Kommunen im Bundestag Druck mache, kann ich auch etwas bewegen.

Kritiker äußern den Vorwurf, dass das einwöchige Engagement in der “Politiker-WG” nichts ausrichten könne und lediglich PR-Zwecken diene. Was entgegnen Sie diesen?

Meine Erfahrung ist eine andere. Zum einen glaube ich, dass sich bei den WG-Bewohnern etwas verändert hat. Wir haben alle neue Erkenntnisse gewonnen und Erfahrungen gemacht, die wir für unsere politische Arbeit mitnehmen können. Zum anderen haben wir Netzwerke geknüpft, die auch über diese Woche hinaus Bestand haben werden. Wir haben ein Jugendprojekt auf den Weg gebracht, das zunächst in den nächsten vier Wochen stattfinden wird. Bei der Konzeption haben wir jedoch darauf geachtet, Partner zu finden, die das fortsetzen. Wir waren uns alle nach den sieben Tagen einig, dass es kein einmaliges Engagement war, sondern dass wir Marxloh weiterhin unterstützen möchten.

Stichwort Jugendprojekt: Sie haben den Bus, der als mobiler Treffpunkt dienen soll und zunächst auf vier Wochen angelegt ist, angesprochen. Wie geht es nach der Startphase weiter?

Wir haben zu Akteuren im Stadtteil Kontakt aufgenommen und Möglichkeiten ausgelotet, das Projekt auf Dauer zu etablieren. Natürlich gibt es noch nichts Spruchreifes, aber wir glauben, dass wir einen Impuls gesetzt haben, damit dieses Projekt dauerhaft weitergeht.

Schwingt angesichts der kurzen Dauer der “Politiker-WG” nicht der Verdacht mit, dass bestimmte Konfliktsituationen inszeniert waren?

Das ganze Setting war natürlich inszeniert. Der WDR hat die WG und verschiedene Erlebnisse organisiert, die wir innerhalb einer Woche nicht selbst hätten herbeiführen können. Dahinter steckte eine Menge Recherchearbeit. Was allerdings letzten Endes bei den Begegnungen herausgekommen ist, das war nicht inszeniert. Die Diskussionsprozesse in der Gruppe und die Ernsthaftigkeit, mit der wir die Aufgaben bearbeitet haben, das hätte man auch nicht inszenieren können. Wir haben eigene Prioritäten gesetzt und selber Entscheidungen getroffen.

Gab es bei diesen Entscheidungen Konflikte unter den Teilnehmern?

Natürlich gab es unterschiedliche Ansatzpunkte. Aber wenn man in einer so kleinen Gruppe arbeitet und teilweise schwierige Aufgaben gestellt bekommt, schweißt das zusammen. Man streitet sich dann nicht über Kleinigkeiten, sondern versucht, ein gemeinsames Projekt voranzutreiben. Wir haben uns natürlich in politischen Fragen und in Bezug auf unsere Erfahrungen unterschieden, aber ich habe kein Konkurrenzdenken erlebt. Jeder hatte das Gesamtprojekt vor Augen.

Braucht es dafür Fernsehkameras?

Ich fürchte ja. Natürlich hätten wir auch ohne die Kameras nach Duisburg-Marxloh fahren können, aber man macht es dann ja doch nicht. Die Kameras haben uns vor Ort auch viele Türen geöffnet. An anderen Stellen hatten diese aber auch Nachteile. Viele Menschen wollten vor laufender Kamera nicht mit uns sprechen. Bei bestimmten Dingen habe ich mich aber auch bewusst von dem Fernsehteam abgesetzt. Gespräche mit potenziellen Spendern habe ich zum Beispiel lieber unter vier Augen geführt und anschließend vor der Kamera nur das Ergebnis präsentiert.

Würden Sie das Projekt “Politiker-WG” weiterempfehlen?

Ja, das habe ich auch schon getan. Ich habe zu Kollegen gesagt: “Mach du das doch mal.” Es war eine tolle Erfahrung, denn man lernt sein politisches Handwerkszeug auf eine ganz andere Art und Weise einzusetzen.

Das WDR Fernsehen zeigt die Reportage am Montag, 24. August 2015, von 21 Uhr bis 21.45 Uhr.