Bei Labour siegt Herz über Verstand

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Deutlicher als erwartet – mit 59,5 Prozent – hat der als Außenseiter gestartete Sozialist Jeremy Corbyn die Wahl zum Vorsitzenden der britischen Labour Party gewonnen. Der Rebell setzte sich gegen das Partei-Establishment durch: auch Dank der rund 105.000 “registrierten Unterstützer”, von denen beinahe 90.000 für ihn stimmten. Sie entrichteten drei Pfund und erkauften sich so ein Mitspracherecht bei der Wahl des Vorsitzenden. Unter ihnen befinden sich Grüne, Sozialisten und Konservative, die Corbyn gleichermaßen ins Amt tragen wollten. In den sozialen Netzwerken gab es links und rechts des politischen Spektrums Aufrufe, Corbyn zu wählen.

Doch es waren keinesfalls nur diese Aktivisten, die mit ihrer “Corbymania” zum Wahlsieg beigetragen haben. Auch unter den langjährigen Partei- und Gewerkschaftsmitgliedern holte Corbyn jeweils die meisten Stimmen. Einzig die Abgeordneten der Unterhausfraktion vermochte der ehemalige Hinterbänkler nicht zu begeistern.

Seine Authentizität und eine mustergültig geführte Kampagne in den sozialen Netzwerken und in den Medien bildeten den Grundstein für den Erfolg. So gelang es ihm, eine tragfähige Allianz auf die Beine zu stellen, zu deren Unterstützern beispielsweise der Regisseur Ken Loach, die Schauspieler Daniel Radcliffe und Russel Brand, Caroline Lucas (Parlamentsabgeordnete und ehemalige Vorsitzende der britischen Grünen), George Galloway, Vorsitzender der Respect Party sowie der Menschenrechtsaktivist Peter Tatchell gehörten. Auch die großen und einflussreichen Gewerkschaften Unison und Unite, die zusammen über mehr als 2,5 Millionen Mitglieder verfügen, und die schottische Tageszeitung “Daily Record” unterstützten ihn.

Koordinaten nach links verschoben

Mit einem so deutlichen Mandat ausgestattet, wird Corbyn die Partei mit seinem Linksschwenk auf ein Terrain führen, auf dem mit den Grünen, den schottischen Nationalisten der SNP und den neu aufgestellten Liberaldemokraten ohnehin ein harter Wettbewerb um Wählerstimmen tobt. So lassen sich zwar enttäuschte ehemalige Wähler zurückholen, jedoch keine Wahlen gewinnen. Die Kurskorrektur wird vermutlich bei den nächsten Parlamentswahlen dafür sorgen, dass insbesondere in der einstigen Herzkammer Schottland Mandate von den Nationalisten zurückerobert werden, im bevölkerungsreichen England wird es jedoch Wähler verschrecken. 

Wahlen werden auch in Großbritannien in der Mitte gewonnen. Dies bewies Tony Blair Ende der neunziger Jahre und Anfang des Jahrtausends eindrucksvoll, als er mit seinem New Labour Projekt erstmals drei Siege in Folge für die Labour Party einfuhr. So bedeutet das Ergebnis für Corbyn in seiner Deutlichkeit eine Abrechnung mit New Labour. Mit dem einstigen Strahlemann Blair verbinden die Sozialdemokraten heute insbesondere die Kriegseinsätze in Irak und Afghanistan sowie einen wirtschaftsfreundlichen Kurs, der Linken, Grünen und dem Heer der Nichtwähler zahlreiche ehemalige Labour-Mitglieder zuführte.

Wie wenig New Labour aktuell in der Arbeiterpartei steckt, lässt sich auch am schwachen Abschneiden von Liz Kendall ablesen. Die Kandidatin des konservativen Flügels landete mit 4,5 Prozent abgeschlagen auf dem vierten Platz. Noch vor der Auszählung der Stimmen räumte sie kleinlaut ihre Niederlage ein.

Unruhige Zeiten stehen bevor

Labour wird in den kommenden Monaten nicht zur Ruhe kommen. Für Corbyn gilt es nun, die Parteigräben zu überwinden, die Fraktion hinter sich zu versammeln und eine schlagkräftige Oppositionsmannschaft zusammen zu stellen. Erste Reaktionen des aktuellen Schattenkabinetts zeigen, dass dies schwieriger werden könnte, als den Wahlsieg zu erringen. So legten mit Rachel Reeves (Arbeit), Chukka Umunna (Wirtschaft) und Tristram Hunt (Bildung) am Wochenende binnen Stunden nach Bekanntgabe des Ergebnisses erste prominente Mitglieder des aktuellen Schattenkabinetts ihre Ämter nieder.

Entsprechend wird die Oppositionsmannschaft viele neue und vergleichsweise unerfahrene Gesichter beinhalten. Dabei scheinen insbesondere Vertreter der Parteilinken wie John McDonnell und Diane Abbott gesetzt, die in der Vergangenheit oftmals vom Partei-Establishment übergangen wurden. Wenn es Corbyn jedoch nicht gelingt, wenigstens einige prominente Vertreter des konservativen Parteiflügels zur Mitarbeit im Schattenkabinett zu bewegen, wird er Revolten im Parlament und Parteiübertritte befürchten müssen. In Großbritannien, wo Fraktionen ausschließlich aus direkt gewählten Abgeordneten bestehen, sind Parlamentarier tendenziell rebellischer als anderswo. Und mit etwas mehr als 20 Mitgliedern bilden die Linken in der Fraktion eine Minderheit.

Premierminister David Cameron kann dem Neustart beim politischen Wettbewerber mit Freude entgegensehen. Er wird insgeheim hoffen, dass eine Prophezeiung seines Vorvorgängers Tony Blair wahr werden wird. Der hatte davor gewarnt, dass die Wahl von Jeremy Corbyn seine Partei auf Jahrzehnte unwählbar machen würde.