"Am Anfang habe ich ganz schön abgenommen"

Interview

Die Geschichte beginnt im Sommer 2013, mitten im Wahlkampf. In Porträts stellt p&k aussichtsreiche Kandidaten zur Bundestagswahl vor. Drei von ihnen – Julia Verlinden (Grüne), Karamba Diaby (SPD) und Cemile Giousouf (CDU) – gelingt der Einzug ins Hohe Haus. In Interviews mit p&k sprechen die MdB-Neulinge wenig später über ihre Gefühle am Wahlabend und ihre Pläne für Berlin. Ein Jahr ist seither vergangen – Zeit für eine erste Bilanz.

Doch wie sehr sich das Leben der Nachwuchspolitiker inzwischen verändert hat, zeigt sich schon bei der Terminplanung. Erst am Ende einer langen E-Mail-Schleife tut sich in den Kalendern der drei Abgeordneten dasselbe Zeitfenster auf. Leider schließt es sich wieder am Morgen des Interviews: Der Termin platzt wegen plötzlicher Krankheit. Zwei Wochen später drohen Lokführerstreik und Stau im Regierungsviertel die Terminplanung ein zweites Mal über den Haufen zu werfen: Erst 15 Minuten nach dem geplanten Interviewbeginn sind alle Gesprächspartner eingetroffen. Die Anwesenden nehmen’s gelassen: “Dann frühstücken wir eben noch.” Als an Müsli und Brötchen nur noch Krümel erinnern, bleibt nicht mehr viel Zeit. Legen wir los.

p&k: Frau Giousouf, Frau Verlinden, Herr Diaby, Sie alle sind vor einem Jahr erstmals in den Bundestag eingezogen. Wie viele Kilo haben Sie seitdem zu- oder abgenommen?

Cemile Giousouf (lacht): Karamba, als einziger Mann in dieser Runde darfst Du zuerst antworten.

Karamba Diaby: Ich habe mein Gewicht gehalten. Darüber bin ich auch froh (lacht).

Julia Verlinden: Ich habe ein Kilo abgenommen (lacht ebenfalls).

Warum? Aus Stress?

Verlinden: Ja, man kommt zu wenig zum Essen.

Diaby: Ich kann Dir ein paar Tipps geben, wie man das schafft (alle lachen).

Giousouf: Stimmt, abends gibt es ja immer Veranstaltungen, dort kann man ganz viel essen (wieder lachen alle). Ich habe am Anfang ganz schön viel abgenommen, mit der Zeit hat sich das aber eingependelt.

Schauen wir zurück auf Ihre ersten Tage in Berlin: Wann kam die erste Post von Verbänden und Lobbyisten?

Giousouf: Die war schon da, bevor wir das Büro bezogen haben. Die waren echt schnell.

Verlinden: Bei mir lag so ein Stapel Post (hebt die rechte Hand 30 Zentimeter über den Tisch).

Giousouf: Ja, in dieser Größenordnung hat sich das auch bei mir bewegt.

Diaby: Bei mir auch. Das waren mindestens zwei Mappen.

War das ein Schock oder hatten Sie das erwartet?

Verlinden: Ich war schon überrascht, wie viele Briefe bereits im Posteingang lagen. Aber ich hatte zum Glück auch vom ersten Tag an Unterstützung im Büro. So haben wir ganz schnell geübt, was man aussortiert und was wichtig ist.

Diaby: Ich war von der Menge auch überrascht. Dann habe ich mich mit einem erfahrenen Kollegen darüber unterhalten. Und der hat zu mir gesagt: Wenn fünf Prozent dieser Post beim Abgeordneten ankommen, dann hat er etwas falsch gemacht (alle lachen).

Eine Art Feuertaufe für die Neuen ist ja ihre erste Rede im Plenum. Wie lange mussten Sie darauf warten?

Giousouf: Den Ausschusskollegen war daran gelegen, dass wir Neuen so schnell wie möglich im Plenum reden, damit wir wissen, wie das ist. Ich habe dann im Februar meine erste Rede über ein Thema gehalten, für das ich gar nicht Berichterstatterin bin. Es ging ums Bafög. Mittlerweile habe ich drei Reden gehalten. An Verlinden und Diaby: Ihr bestimmt auch, oder?

Verlinden: Ich habe bislang sechs Reden gehalten. Das liegt an meinem Thema, der Energiewende. Zum ersten Mal stand ich in einer aktuellen Stunde zum Stromnetzausbau vor dem Plenum. Das war im Februar.

Diaby: Ich hatte meine erste Rede im Januar. Da ging es um die Pisa-Studie. Ende September stand ich zum zweiten Mal am Rednerpult, zum Thema Anerkennungsgesetz. In der SPD-Fraktion gab es die Ansage, dass die Neuen nicht ganz so lange warten sollen wie in der vorherigen Wahlperiode.

Wie war es, zum ersten Mal im Hohen Haus vor dem Plenum zu stehen?

Giousouf: Ich war schon aufgeregt. Durch den Wahlkampf sind wir es ja gewohnt, vor Massen zu sprechen, aber natürlich ist die erste Rede wirklich etwas Besonderes. Da hatte ich schon Herzklopfen. Ich bin aber überrascht, dass man sich relativ schnell daran gewöhnt. Man vergisst sogar die Kameras, weil man im Dialog mit den Kollegen ist und es auch Zwischenrufe gibt. Ich glaube, viele vergessen, dass die ganze Welt zuschaut – oder zuschauen könnte (alle lachen). Dennoch haben Plenarreden einen sehr großen Effekt im Wahlkreis. Die Leute freuen sich immer, wenn sie einen im Fernsehen sehen. Für die Außenwahrnehmung ist das ganz wichtig. Es wird aber auch bemängelt, dass die Plenarreihen häufig leer sind.

Diaby: Ich war auch aufgeregt beim ersten Mal. Aber inzwischen hat das abgenommen. Ich bin ja auch seit sechs Jahren Stadtrat bei uns in Halle und dort werden Stadtratssitzungen live gefilmt. Da habe ich mich daran gewöhnt, dass einem bei jeder Bewegung zugeschaut wird. Aber ich gebe zu, dass das Plenum im Bundestag schon eine andere Dimension ist. Wirklich überraschend fand ich, dass die erfahrenen Kollegen den Neuen zur ersten Rede gratulieren – wie einem Schulkind zur Einschulung.

Verlinden: Ich habe neun Jahre kommunalpolitische Erfahrung. Die Aufregung kam bei mir erst, als andere um mich herum sagten: “Boah, Deine erste Rede!” So hat sich das auf mich übertragen. Aber die Rede war gut vorbereitet. Man setzt sich ja nicht erst zwei Stunden vorher hin, sondern macht das in Ruhe und übt die Rede auch.

Haben Sie Ihre erste Rede selbst geschrieben, Frau Verlinden?

Verlinden: In großen Teilen ja. In der Opposition ist es ja leider immer so, dass pro Standarddebatte jeder nur drei oder vier Minuten sprechen kann, damit möglichst viele von uns drankommen. Mich aufs Wesentliche zu konzentrieren, hat mir die meiste Mühe bereitet. Es ist eine Herausforderung, im Zeitrahmen zu bleiben und trotzdem auf den Punkt zu kommen. Wir reden ja nicht über banale Dinge, wo es nur richtig oder falsch gibt. Mein Thema, die Energiewende, ist schon sehr komplex.

Wie gehen Sie mit Zwischenrufen um?

Diaby: Ich selbst rufe gern dazwischen. Bei mir gab es zwar einzelne Zwischenrufe, aber nicht so aggressiv, dass ich darauf eingehen musste.

Giousouf: Es gibt Grüne, denen das Thema doppelte Staatsbürgerschaft auch sehr am Herzen liegt. Da kommen regelmäßig Zwischenrufe. Ein Kollege (MdB Özcan Mutlu, Anm. d. Red.) und ich haben darüber so eine Art Beziehung aufgebaut.

Rufen Sie auch mal zurück?

Giousouf: Nein. Aber ich baue den Kollegen mittlerweile in meine Reden mit ein, weil ich weiß, dass bestimmt wieder etwas von ihm kommen wird. Ich finde das gut, denn es zeugt von einer lebendigen Debattenkultur.

Haben Sie sich am Anfang mit anderen neuen MdBs ausgetauscht – etwa in Form von fraktionsübergreifenden Treffen?

Giousouf: Bundestagspräsident Norbert Lammert hat alle Abgeordneten mit Migrationshintergrund, also nicht nur die neuen, zu einem Empfang eingeladen. Das fand ich großartig und ich wünsche mir mehr solcher Plattformen, auf denen man sich unabhängig von den Kategorien Regierung oder Opposition austauschen kann. Das passiert immer noch zu wenig. Man ist eher mit seinen eigenen Leuten zusammen (Verlinden und Diaby nicken zustimmend).

 

Lesen Sie auch den zweiten und dritten Teil unseres Interviews mit den MdB-Neulingen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Die andere Perspektive. Das Heft können Sie hier bestellen.